Ist „rot“ gleich „rot“? 4-Aminokarminsäure als Begleitstoff in Echtem Karmin

A. Was ist 4-Aminokarminsäure?

4-Aminokarminsäure (4-ACA) gehört zur Klasse der primären aromatischen Amine (s. Abbildung 1). Es besitzt eine Anthrachinonstruktur und ist glykosidiert. In Lösung zeigt es eine kräftige rote Farbe, die auch bei niedrigen pH-Werten, erhöhten Temperaturen und Lichteinwirkung stabil bleibt.


Abbildung 1. Struktur von 4-Aminokarminsäure












B. Wo kommt 4-Aminokarminsäure vor?

4-ACA kommt als Nebenprodukt im zugelassenen Lebensmittelfarbstoff E 120 „Echtes Karmin“ vor. Der natürliche Pigmentfarbstoff Karminrot ist ein glykosidiertes Hydroxyanthrapurin, der mit Wasser, Alkohol oder Wasser/Alkohol-Mischung aus der weiblichen getrockneten Cochenilleschildlaus (Dactylopius coccus) extrahiert wird. Weitere zugelassene Bezeichnungen des „Echten Karmin“ sind Cochenille, Karminrot und natural red 4, mit dem Colour Index (C.I.) 75470. E 120 ist entsprechend der EU-Positivliste der Lebensmittelzusatzstoffe (Anlage II der EU-Verordnung Nr. 1333/2008) für alle Lebensmittel und Getränke zugelassen; eingesetzt werden hierzu die Ammonium-, Calcium-, Kalium- und Natriumsalze der Karminsäure sowie der Aluminiumlack (Spezifikationen der EU-Verordnung Nr. 231/2012). Der Farbstoff E 120 ist intensiv rotfärbend, ändert jedoch – im Gegensatz zu 4-ACA – bei niedrigeren pH-Werten seine Farbe zu Orange. Bei der Extraktion des Pigmentfarbstoffes aus der Cochenillelaus sowie beim Erhitzen des Farbstoffes kann spontan aus freier Karminsäure und einer Ammoniumquelle (z.B. Proteine des Insektes) das 4-ACA gebildet werden und somit in geringem Anteil im Extrakt vorliegen. Zudem kann es auch in geringen Mengen im Insekt selber vorkommen und somit mitextrahiert werden.

C. Wie gelangt 4-Aminokarminsäure in Lebensmittel?

Aktuell liegen dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) Informationen darüber vor, dass der Farbstoff Echtes Karmin E 120 mit hohen Gehalten an 4-ACA in verschiedenen Lebensmitteln verwendet und als Echtes Karmin E 120 gekennzeichnet wird. 4-ACA ist jedoch nicht in der Unionsliste der zugelassenen Zusatzstoffe aufgeführt, folglich handelt es sich um einen nicht zugelassenen Zusatzstoff. Der Farbstoff E 120 mit einem erheblichen Anteil an 4-ACA wird unter der Bezeichnung „säurebeständiges Karmin“ auf den Markt gebracht und findet sich in hohen Anteilen in Lebensmitteln und Getränken, die mit E 120 als färbenden Zusatzstoff deklariert sind, wieder. Somit liegt hier ein Verdacht von Food Fraud vor.

D. Kann 4-Aminokarminsäure ein Gesundheitsrisiko darstellen? Aktuelle Datenerfassung der EFSA

Die Verordnung (EU) Nr. 1333/2008 sieht vor, dass Lebensmittelzusatzstoffe von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) regelmäßig neu evaluiert werden, da sich deren Einsatzmöglichkeiten und analytische Methoden im Laufe der Zeit erweitern und ändern können. Bei der Neubewertung des Farbstoffes E 120 ist somit auch das 4-ACA in den Focus der Behörden geraten. Während primäre aromatische Amine (paA, wie z.B. 4 Naphthylamin) – zu denen auch das 4-ACA gehört – als krebserregend eingestuft sind, liegen zur Toxizität von 4-ACA bislang keine Daten vor. Karminrot (E 120) selbst gilt aus toxikologischer Sicht als unbedenklich.

E. Wie wird 4-Aminokarminsäure analysiert?

Als wasserlöslicher roter Farbstoff lässt sich 4-ACA gut mittels Hochleistungsflüssigkeitschromatographie (HPLC) und Photodiodenarray-Detektor (PDA) bei einer Wellenlänge von 525-530 nm analysieren. Weiterhin ist auch eine Analyse mittels Tandem-Massenspektrometrie (LC-MS/MS) möglich.

F. Gibt es Höchstgehalte für 4-Aminokarminsäure in Lebensmitteln? Aktuelle Diskussion

Derzeit werden die Spezifikationen des Farbstoffs E 120 überarbeitet (unter anderem seine Bezeichnungen und Grenzwerte bestimmter enthaltener Kontaminanten). Im Zuge dessen findet eine Diskussion um einen Höchstwert von 4-ACA im Farbstoff E 120 statt. In einem kürzlich (Februar 2017) veröffentlichten Positionspapier der Natural Food Colours Association (NATCOL, Basel) wurde der Europäischen Kommission (DG SANTE) und der EFSA ein 4-ACA-Gehalt von 3 % in der finalen Farbstofflösung als Höchstwert vorgeschlagen.